Description (de)
Die kulturhistorische Bedeutung der Textiltechniken, besonders des Spinnens und Webens, ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Mit diesem Handwerk wurden nicht nur wesentliche Güter des täglichen Bedarfs - allen voran Kleidung - hergestellt, sondern auch Gebrauchswaren sowie repräsentative Objekte bis hin zu Luxusartikeln.
Der zeitliche und geografische Rahmen dieser Untersuchung konzentriert sich auf die Urgeschichte in Mitteleuropa, der Zeit vor der Einführung der Schrift, in Mitteleuropa also vor der Okkupation durch die Römer. Besonders österreichische Funde und Fundstellen, sowie solche aus den angrenzenden Nachbarländern stehen im Fokus.
Die Erfindung der wesentlichsten Techniken des textilen Handwerkes, die wir zum großen Teil noch in heutiger Zeit anwenden, reicht zurück bis in die Steinzeit. Ein wichtiges Anliegen dieses Buches ist es, ein differenziertes Bild des prähistorischen Textilhandwerkes zu zeichnen. Es besteht aus zahlreichen einzelnen Arbeitsschritten - nicht nur Spinnen und Weben - die in ihrer Gesamtheit dargestellt werden. Die geschichtliche Tiefe wird durch die verschiedenen archäologischen Quellen deutlich - vom Werkzeug, über Textilfunde, bis hin zu Schriftquellen in der späten Eisenzeit. Ab der Jungsteinzeit, ab den ersten frühen Bauerngesellschaften entwickelte der Mensch in seinem Einfallsreichtum viele Web- und Näh-techniken, Bindungs- und Musterungsarten, die uns zum größten Teil bis heute begleiten. Ab der Bronzezeit kommt es regelrecht zu einem "Innovationsschub", indem etwa die erste Köperbindung auftaucht, Färbung oder Spinnrichtungsmuster. Die Verfeinerung der Textiltechnik, sichtbar an den im Vergleich zur Bronzezeit feineren und vielfältigeren Wollstoffen der Eisenzeit, erreicht in der Hallstattzeit ihren ersten Höhepunkt. Die hallstattzeitlichen Stoffe sind von hoher Qualität und durch Bindungsart, Farben, Muster und Borten sehr dekorativ gestaltet. Möglicherweise wurde diese Entwicklung durch die Herausbildung differenzierter Gesellschaftsstrukturen am Beginn der Eisenzeit begünstigt.
Dem Haupttitel dieses Buches, der prähistorischen Textilkunst, widmet sich besonders das Kapitel über die Ziertechniken an Stoffen, da hier nicht jene landläufig gedachte primitive Einfachheit vorherrschte. Schon allein die verwendete Gewebebindung ist ein wesentliches gestalterisches Element - komplexe Köpervarianten ab der Bronzezeit heben sich schon durch ihr strukturiertes Aussehen von einfacheren leinwandbindigen ab. Wenn man dann zusätzlich verschiedene Farben für Kette und Schuß verwendete, so trat der Musterungseffekt einer Köperbindung mit der typischen Gratbildung, noch prägnanter hervor.
In der Urgeschichte Mitteleuropas wurden meist Musterungstechniken verwendet, die während des Webens erzielt wurden. Das Design der Muster geht Hand in Hand mit ihrer Herstellungstechnik. So ist beim Weben durch das System der Kett- und Schußfäden eine starke Betonung der senk- und waagrechten vorgegeben. Organisch entstehen so Streifen verschiedener Art und auch Karos, durch verschiedenfarbig aufgespannte Kettfäden und durch Wiederholen bunter Einträge im Schuß. Spinnrichtungsmuster gehören ebenfalls zu diesen während des Webvorganges geschaffenen, die in der mitteleuropäischen Eisenzeit sehr beliebt waren.
Wollte man Bogiges, Kurviges gestalten, so muss man auf andere Techniken zurückgreifen. Hier bieten sich vor allem verschiedenfärbige musterbildende Einträge im Schuß an - ob als flottierende Elemente über einem Grundgewebe. Das Einarbeiten verschiedener Elemente verschaffte dem kreativen Menschen ab der Jungsteinzeit ebenfalls ein weites Betätigungsfeld. Stickerei, die kleine Schwester der Nähtechnik, ist in Mitteleuropa bisher selten nachgewiesen, dennoch lässt sie sich ab der Bronzezeit durch die Zeiten verfolgen. Auch die Brettchenweberei - mit einer Hochblüte in Mitteleuropa in der Eisenzeit - bietet durch die Art ihrer Ausführung ein reiches Feld für schöpferische Arbeit im Musterdesign. Bei dieser Technik sind der Fantasie kaum noch Grenzen gesetzt, wie archäologische und historische Textilfunde eindrucksvoll bezeugen.
Es wird in diesem Buch auch der Versuch unternommen, die meist eher primitivistische Sichtweise auf das prähistorische Textilhandwerk etwas zu relativieren. Es werden Fragen gestellt zur Produktionsorganisation, zu Arbeitsteilung und zu den im Handwerk tätigen Personen. Die Textilien und die Gerätschaften können uns sogar erste Hinweise auf das Produktionsniveau geben. Wurden die Textilien wirklich nur im Haushandwerk geschaffen, oder können wir besonders in der Eisenzeit bereits so etwas wie Spezialisten oder Massenproduktion fassen?
Die Textilien wurden nicht nur für Kleidung produziert, sondern erfüllten - wie auch heute noch - viele andere Aufgaben im täglichen Leben. Auch im prähistorischen Europa gibt es schon Hinweise auf Wandbehänge, Kissen und Matratzen. Gewebe wurden als Transportsäcke in einem Salzbergwerk eingesetzt, oder auch als Polsterung für Schwertscheiden. Selbst nach Verschleiß ging man mit der "Ressource Textil", in deren Herstellung so viel Zeit und Mühe lag, bedachtsam um. Mehr als einmal können wir regelrechtes "Recycling" von Textilien beobachten. Ausgediente Stoffe wurden als behelfsmäßiges Bindematerial verwendet, als Verpackungsmaterial, ja sogar als Verbandsmaterial.
Ein ausgedehntes Kapitel über die Kleidung in der mitteleuropäischen Urgeschichte rundet diesen Band ab. Es wurden verschiedene archäologische Quellen zusammengetragen, textile Funde, Schmuckstücke in Gräbern, zeitgenössische Bildquellen und - am Ende der Urgeschiche - auch Schriftquellen. Längst sind nicht alle Fragen geklärt und wir sind weit davon entfernt, ein Bild der Kleidung der gesamten Bevölkerung der einzelnen prähistorischen Epochen entwerfen zu können. Doch erste Schlaglichter auf einzelne Gewandformen, auf Schuhe und Kopfbedeckungen sind bereits möglich. Im Sinne des Forschungsprojektes "DressID - Clothing and Identities. New Perspectives on Textiles in the Roman Empire (2007-2012)" ist es auch ein Anliegen, die Bedeutung von Kleidung und Schmuck in der Urgeschichte zu beleuchten. Nicht nur der Schutz vor klimatischen Einflüssen wie Nässe, Hitze und Kälte hat den Menschen der Stein- bis Eisenzeit dazu bewogen, sich zu bekleiden. Nicht zu unterschätzen ist die soziale Funktion von Kleidung als Anzeiger von Macht und Status. Wie auch heute diente Kleidung als wichtiges nonverbales Kommunikationsmittel, es sagt vieles aus über seinen Träger, über den sozialen Status, über Alter und Geschlecht und auch über Gruppenzugehörigkeiten.
Heute wie damals hatte Kleidung eine identitätsstiftende Funktion für den Einzelnen wie für die Gruppe. Die Textilien und die Kunstfertigkeit, mit der sie geschaffen wurden, tragen viel zu dieser optischen Wirkung bei.
So schließt sich nun der Kreis zwischen der prähistorischen Textilkunst, der Geschichte des Handwerks und der Kleidungsgeschichte - Themen die es hier kunstvoll zu verweben galt.
Description (en)
The roots of our history as well as the history of the textile craft reach back to the "dark ages" without written sources, the millennia before the ancient civilisations. Textiles, textile production and clothing were essentials of living in prehistory, locked into the system of society at every level - social, economic and even religious. In Roman Period written sources allow us to draw a colourful picture of textiles and their producers - about work and identity. For prehistory the mearge evidences from archaeological excavations has to be puzzled together. It is a delightful challenge, to create a hypothesis about "the people behind", about textile producers, about the history of clothing.
This book is dedicated to historians, costume designers, archaeologists und all persons, who are interested in handcraft and artisanship. We deal with the prehistory in Central Europe, with a special focus on Austrian sites and finds as well as the surrounding countries.
Our knowledge for textile production in pre-Roman Europe comes from various sources such as surviving textiles, grave finds, textile tools, archaeological evidences from settlements and depictions of crafts people and their products. From the last centuries before Christ, at the end of Iron Age, we also have sparse written sources. The title of this book "Prehistoric Textile Art" was chosen to point on the skill of prehistoric people to use different patterning techniques. Commonly prehistoric textiles from Europe before the ancient civilisations are thought to be very simple and primitive.
The aim of this book is to show the variety of working processes and techniques. It is a fact, that the most important techniques in textile handicraft and art, which we use even in the 21th century, have their roots in prehistoric times. They even reach back to Stone and Bronze Age. During this time human beings created the most important weaving and sewing techniques, weave and pattern types. Especially the Bronze Age innovations, like weaving twill, dyeing textiles or special pattern systems are surprising. There is a well development of textile techniques towards Iron Age. The textile qualities in Hallstatt Period are finer and multifaceted than in the preceding periods. They are rich in colour, as well as in different weave-types, patterns and decorations. There are different styles of band weaves.
Usually decorative techniques used in prehistoric times were introduced during weaving. Therefore typical designs of the patterns are connected with the warp and weft system of the weave. For example stripes or checked patterns are woven with warp and/or weft threads of different colours. For curving and circular designs there are different techniques to be used. For Central European prehistory we know of different brocade techniques with floating thread systems. Inserting or attaching different elements into a weave, such as beads or even metal stripes was known. Embroidery, the "small art" beside sewing, was used to create decorative products. Tablet weaving is a special weaving technique utilising four-holed tablets which permits to compose complicated and figurative designs. This technique reached its first zenith during Hallstatt Period
This first overview allows us to draw a picture of the development of textile production, starting from household production level in Stone and Bronze Age and culminating in more industrial level workshop production in Roman times. It is important to emphasise that, from Hallstatt Period onwards we know a highly developed textile art and there is evidence of a well organised textile production - on household level and possibly specialised craft and the first mass production in workshops. The textiles and tools show clearly, that there is a continuous development from the beginning of the Iron Age till Roman era. For the topic "work and identity" the crafts people - the textile producers - are in the focus as well as the organisation of the production. We can find their traces in every settlement, where they lived and worked. Spindle whorls, loom-weights and needles in graves may indicate, that their owners were textile workers, but also may demonstrate their special status.
The function of the woven fabrics in prehistory can be interpreted in various ways and different primary and secondary use can be distinguished. Textiles were produced with special characteristics for a particular use. The primary use of textiles can be as clothing or objects of daily use such as carrying-bags. We even know of wall-hangings, pillows and mattresses in the centuries before Christ in Central Europe. Secondary use is re-use after wear and tear, i.e. subsequent to primary use as "recycling". Thus, textiles were used as provisional binder, as wrapping for goods, even as dressing material.
The book concludes with a comprehensive chapter about clothing in prehistory. Different archaeological sources can be consulted: textile objects, rare finds of complete garments, jewellery in graves and iconographic evidence. Greek and Roman written sources sometimes give attention to the "barbaric" tribes in Central Europe - so we know the names of some garments used in the Late Iron Age. While this study can not give a picture of the clothes of the whole population from Stone to Iron Age, but we know some examples of garments, shoes and hats and how they were worn. The social meaning of clothing, clothing as important media to communicate identity is an important part of this chapter.